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Gründer oder Fighter?

Was wäre, wenn Startup-Gründer Mixed Martial Arts lernen würden - oder Mixed Martial Arts-Kämpfer ein Startup gründen würden...?

Ein mehrdimensionales Eintauchen in zwei unterschiedliche Welten - die sich viel ähnlicher sind, als manche denken.

Ein Essay von Mario Beiser, Ex-Startup-Gründer, Geschäftsführer und über 10 Jahre Erfahrung in Mixed Martial Arts.

Ein Einblick in den geheimsten, verletzlichsten Moment während eines Mixed Martial Arts-Kampfes: Ich liege auf dem Rücken, meine Arme schützen meinen Kopf, mein Gesicht. Ich spüre die Kraft, mit der mein Gegner einen Schlag nach dem anderen abfeuert, nach einem missglückten und technisch misserablen Take-Down-Versuch meinerseits, direkt auf mir sitzend. Ich spüre, wie mehr und mehr Schläge durch meine Deckung gehen.

Stille in meinem Kopf. Ich spüre meinen Atem. In diesem Moment weiß ich, dass ich handeln muss. Ich weiß, dass ich die richtige Strategie wählen muss, sonst werde ich diesen Kampf verlieren. Es ist unglaublich schwierig, in diesem Moment die Konzentration zu behalten. Die Situation scheint aussichtslos. Soll ich aufgeben? Diesmal aufgeben? Ich höre den Atem meines Gegners. So viele Schläge abzufeuern ist enorm anstrengend. Er versucht, mich zur Aufgabe zu bewegen. Ich zwinge mich, mich zu konzentrieren. Ich analysiere. Und da ist er. Der eine Moment. Ich ziehe mein Knie an, schiebe meine Hüfte hoch und schiebe meinen Gegner über mich. Ich schiebe meinen Kopf unter seinen Körper, greife sein Handgelenk und ziehe seinen Arm zur Hüfte. Der Automatismus, das jahrelang erlernte und trainierte Muster, funktioniert. Brücke, Überschlag und ich bin frei. Das Adrenalin schießt ein. Die Glocke der Runde erlöst...

Die Frage, was genau die alltägliche, lebenserfüllende Aufgabe, eine Idee in ein Produkt, gar in ein seriöses Unternehmen zu verwandeln, Abhängigkeiten und Verantwortlichkeiten aufzubauen, einen Markt mit realen Kunden zu adressieren und damit wirtschaftlich erfolgreich zu sein, mit dem Moment gemein hat, in dem sich zwei trainierte Kämpfer in einem Oktagon gegenüberstehen und sich im physischen Vergleich messen, wer der Bessere ist, mag redlich erlaubt sein.

Aber wenn man sich den Ablauf eines Kampfes (ich spreche immer vom sportlichen Wettkampf) im Detail anschaut und abstrahiert, erscheinen die täglichen Kämpfe, die man als Gründer durchlebt, nicht mehr so fremd.

Im Folgenden werde ich anhand verschiedener Beispiele zeigen, was diese beiden Themen gemeinsam haben und vor allem, welche Ansätze man adaptieren und anwenden kann, um in beiden Situationen weiterzukommen. Als Startup-Gründer und als Mixed Martial Arts-Kämpfer.

Gemeinsamkeit eins: Begrenzte Ressourcen

Um ganz ehrlich zu sein: das Leben als Startup-Gründer in Deutschland ist definitiv nicht für jeden der richtige Weg. Die meisten Startup-Gründer leben zu Beginn ihrer Karriere weit entfernt von dem, was die meisten von uns als "gutes Leben" bezeichnen würden. Es ist völlig normal, dass sie mit niedrigen (manchmal nicht einmal existierenden) Gehältern und langen Arbeitszeiten zurechtkommen müssen, während sie sich den Kopf über Ideen zerbrechen, die am Ende nach Jahren des Engagements und der Selbstkasteiung vielleicht nicht funktionieren. Außerdem müssen Gründer immer mit begrenzten Ressourcen umgehen und den Nebel des Krieges (auch bekannt als Mangel an ausgereiften Prozessen und stabilen Systemen) ertragen. Wie Sie sich beim Lesen der obigen Einleitung vorstellen können, befindet sich ein Kämpfer in den meisten Fällen in einer ziemlich vergleichbaren und damit ziemlich schnell ungemütlichen Situation. Die Zeit läuft ab, die eigenen Kräfte schwinden, man fühlt sich in den eigenen Strudel des Verlierens, des Aufgebens gezogen. Die Wahrheit ist ziemlich einfach: Ob man nun ein Gründer oder ein Kämpfer ist, in dem Moment, in dem man sich entscheidet, den schwindenden Ressourcen Tribut zu zollen und tatsächlich aufzugeben, in dem Moment ist klar, dass man verlieren wird. Ein Kampf oder ein Unternehmen.

Ähnlichkeit zwei: Fundamente zählen

Es gibt eine Reihe von Gründern, die mit der richtigen Idee die richtigen Leute zur richtigen Zeit am richtigen Ort getroffen haben und so die Idee zum Erfolg führen konnten. Aber das ist wohl eher die Minderheit. Die Mehrheit der Start-ups muss einen steinigen Weg gehen, der nur selten mit einer Karriere im klassischen Unternehmensumfeld vergleichbar ist (völlig frei von jeder Wertung, was die Komplexität und den Aufwand betrifft, den der Weg vom Bordstein zur Skyline in beiden Fällen mit sich bringt). 

Im Gespräch mit Gründern in der Anfangsphase ihres Start-ups wird schnell deutlich, dass einerseits diversifizierte Teams aufgrund ihrer breit gefächerten Kompetenzen oft vorteilhaft agieren können und andererseits viele der vielversprechenden Teams aufgrund ihres Bildungshintergrunds oder ihrer Vorerfahrungen im beruflichen Umfeld vorteilhaft agieren können.

Eine solide Wissensbasis, ein definiertes und erlerntes Set an Methoden und Werkzeugen in der jeweiligen Domäne gewährleistet oft ein strategisch richtiges Vorgehen. Und genau hier gibt es aus meiner Sicht wieder eine große Überschneidung mit dem Kampfsport.

Kennen Sie Kirmesboxen? Hier steigen Jahrmarktsbesucher mit (oft) semiprofessionellen Boxern in den Ring. Aus der Sicht eines ausgebildeten Kampfsportlers ist das nicht akzeptabel. Abgesehen von der sehr hohen Verletzungsgefahr ist die Erfolgswahrscheinlichkeit des untrainierten Kämpfers nahezu Null (und ja, ich weiß um die tausenden von Glückstreffern auf Youtube ;)). Aber nach 17 Jahren Training (mit den üblichen Pausen) weiß ich genau, wie wichtig Automatismen im Mixed Martial Arts Umfeld sind. Muskel- und Bewegungsgedächtnis ermöglichen in Sekundenbruchteilen die richtige Wahl der Strategie zur Abwehr einer bestimmten Angriffstechnik und die Einleitung eines direkten Gegenangriffs zum eigenen Vorteil.

Dies führt mich zu der These, dass sowohl die Gründung eines Unternehmens als auch der Kampf im Achteck nicht zwangsläufig von einer fundierten Ausbildung abhängt: aber es ist sicher, dass sie beide Fälle einfacher macht.

Ähnlichkeit drei: Kenne deine Gegner. Im Detail!

Wenn man sich selbst und den Feind kennt, braucht man den Ausgang von hundert Schlachten nicht zu fürchten. Wenn du dich selbst kennst, aber nicht den Feind, wirst du für jeden Sieg, den du erringst, eine Niederlage erleiden. Wenn du weder den Feind noch dich selbst kennst, wirst du in jeder Schlacht besiegt werden. (Sun Tzu, Die Kunst des Krieges, übersetzt, MB)

Als Kämpfer habe ich viele erfolgreiche Runden aus der Kernkompetenz der Analyse gezogen. Die Analyse läuft auf mindestens zwei Ebenen. Die Analyse vor dem Kampf und die Analyse während des Kampfes. Ich habe immer sehr viel Arbeit investiert, um die Kompetenzen, die Stärken, die Sweet Spots und das Verhalten meiner Gegner zu kennen. Man könnte mich als Informationsvampir bezeichnen. Videos, Erfahrungen von anderen Kämpfern, auch Fotos. Je mehr, desto besser. Ich bin immer gut vorbereitet, denn meiner Erfahrung nach ist Vorbereitung meist weniger schmerzhaft als Überraschung. Vor dem Kampf ist es ideal, um eine Strategie zu finden, wie man einen Kampf führen kann. ABER die Strategie basiert nur auf Annahmen. In einem Wettkampf gibt es immer wieder Situationen, auf die ein Kämpfer höchst individuell und schnell reagieren muss. Hierfür ist die In-Combat-Analyse unerlässlich. Wie reagiert mein Gegner auf meine Aktionen? Wie bewegt er sich? Welche seiner Aktionen sind wiederkehrend? Sind Muster erkennbar und damit vorhersehbar?

Und dieser Ansatz lässt sich 1:1 auf die Welt der Gründer übertragen. In erster Linie geht es darum, Annahmen zu validieren. Wesentliche Fragen wie "Wie gut ist der Problem-Lösungs-Fit?" oder "Mit welcher Strategie lässt sich die Idee monetarisieren? "und später vielleicht "Wird das richtige Kundensegment angesprochen?" oder "Ist unser Onboarding-Prozess optimal auf die Zielgruppe abgestimmt?" müssen durch ständiges, wiederholtes und validierendes Feedback aus der Stakeholder-Masse des Startups beantwortet werden. In erster Linie geht es darum, seine Stakeholdergruppe optimal zu kennen. Denn dieses Wissen minimiert Risiken, sorgt für die richtige Wahl der Maßnahmen in jeder Situation und ist damit ein grundlegender Ausgangspunkt, um die richtigen Dinge zu tun.

Es wäre vermessen zu behaupten, dass Kundenbefragungen, Crowd-Testing oder andere validierende Methoden zur Absicherung einer unternehmerischen Hypothese eine Erfolgsgarantie sind. Umgekehrt kann man aber mit Sicherheit sagen, dass das Fehlen dieses Verhaltens gleichbedeutend damit ist, Conor McGregors berühmten "Linkshand-Schlag" ohne Deckung auszuführen.

Ähnlichkeit vier: aufbauen. messen. lernen.

Ich habe in meiner beruflichen Laufbahn noch nie jemanden getroffen, der von Anfang an immer die richtige Entscheidung getroffen hat. Es gibt eine Menge fantastischer Köpfe da draußen, aber was sie alle gemeinsam haben, ist, dass sie sich mit der Zeit weiterentwickelt haben. Fehler werden gemacht und sind meiner Erfahrung nach ein wesentlicher Grund dafür, dass Menschen, Produkte oder Dienstleistungen besser werden. Der Schlüssel liegt darin, einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess in Ihre DNA einzubauen. Dies nennt man einen Build-Measure-Learn-Zyklus.

Eine Vision ohne Ausführung ist eine Illusion. (T. Edision)

In einem Startup ist es wichtig, Dinge auszuprobieren. Ausgehend von den oben genannten Erkenntnissen müssen die Dinge immer auf die bestmögliche Weise validiert werden. Startups müssen die richtigen Dinge tun und die Dinge richtig machen. Aber wenn etwas nicht funktioniert, muss es (so früh wie möglich) erkannt, angepasst oder eingestellt werden.

An dieser Stelle fällt es mir sehr leicht, einen Vergleich zum Mixed Martial Arts zu ziehen. Denn ich bin mir auch nach so langer Zeit des Übens sehr bewusst, wo ich Schwächen in meinem "Kriegswerkzeug" habe. Bodenkampf ist nicht meine Stärke. Und was man nicht gut kann, macht man meistens nicht gerne. Wann immer ich meinem Gegner gegenüberstehe, kann ich mit Selbstvertrauen auftreten. Ich weiß, welche Aktionen ich auslösen muss, um gut schlagende Kombinationen vorzubereiten. Wenn genau dieser Gegner über mir steht und wahrscheinlich im schlimmsten Fall auch noch ein fähiger Träger der "faixa roxa" (und darüber) ist, laufe ich Gefahr, schnell durch Unterwerfung erledigt zu werden.

Nun, sowohl im Startup-Business als auch im Octagon ist die Lösung einfach. Setz dich auf deinen Hintern, analysiere deine Defizite, lerne und trainiere, und bringe dich auf ein neues Niveau!
Ja, das ist oft leichter gesagt als getan. Aber am Ende des Tages ist es genau das.

Ähnlichkeit fünf: Fokus.

Ich könnte unzählige Vergleiche ziehen: Sowohl die Gründung eines Startups und der damit verbundene Eintritt in die freie Marktwirtschaft als auch der sportliche Wettbewerb schaffen immer eine Konkurrenzsituation, in der es gilt, sich durchzusetzen. Und so ist der Stoff für Artikel wie diesen vielfältig (Nur zu, ich freue mich!).

Aber einer der wesentlichsten Gründe, warum mich Kampfsport und insbesondere Mixed Martial Arts so lange in meinem Leben begleitet haben, ist die Tatsache, dass mir beigebracht wurde, den Fokus auf etwas zu richten.

Forscher haben einmal in einer Studie an Karate-Experten herausgefunden, dass die mentale Schärfe und Konzentration bei Kampfsportlern so ausgeprägt ist, dass ihre stärkere Schlagkraft auf eine bessere Muskelkontrolle im Gehirn zurückzuführen ist und nicht auf eine tatsächliche Zunahme der Muskelkraft. Das bedeutet nicht, dass man durch Muskelzuwachs nicht automatisch ein harter Schlagmann wird. Es bedeutet vielmehr, dass die Konzentration der mentalen Stärke auf ein bestimmtes Ziel, die Ausrichtung der Trainingsanstrengungen auf eben dieses Ziel und die anschließende Konzentration auf das Erreichen dieses Ziels ungeahnte Kräfte freisetzen kann.

Warum das so ist, ist leicht zu erklären. In einer Welt, in der wir mit einer unglaublichen Flut von Informationen bombardiert werden, ist die Auswahl und Priorisierung dessen, was wir aufnehmen, von entscheidender Bedeutung. Wenn Sie also wirklich etwas zur Perfektion, zum Erfolg führen wollen, ist es unerlässlich, sich zu konzentrieren. Streuverluste sind der erklärte Feind aller Spieler in einem Spiel, das ohnehin mit endlichen Ressourcen ausgestattet ist.

Sowohl als Startup-Gründer als auch als Mixed-Martial-Arts-Kämpfer habe ich immer genau dann Gewinn machen können, wenn ich fokussiert war.

Fazit

Ein Startup zu gründen ist eine abenteuerliche Reise, eine Herausforderung, die unabhängig vom Ergebnis unglaublich viel Neues bringt. Der Blick auf Ressourcen, auf Werte, auf (Unternehmens-)Kulturen und auf den respektvollen Umgang mit dem Gegenüber erlebt eine Entwicklung, die ich nur wenigen anderen Erfahrungen im Leben zuschreiben kann.

Und wann immer ich mich auf diese Reise begeben habe, war der Kampfsport für mich ein idealer Ausgleich. Ich habe viele Menschen getroffen, die dieselben Werte teilen, sowohl in meinem Sport als auch in meinem Berufsleben. Unabhängig davon, dass jede Art von Sport einen positiven Mehrwert für unseren Geist, unseren Körper und unsere Seele hat, ist es vielleicht auch genau diese Erfahrung, die mich gelehrt hat, dass ein Startup-Unternehmen und gemischte Kampfsportarten gar nicht so verschieden sind.

Ein oft verwendetes Sprichwort lautet: Harte Arbeit schlägt Talent. Und ich würde sogar so weit gehen und hinzufügen: Jederzeit! Sowohl in der Wirtschaft als auch im Sport.

Cheers, MB

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